Fokus Gesundheit
08.11.2017
Jedes Knie erzählt eine Geschichte – Fallbeispiele aus der Unfallchirurgie und Orthopädie
Interview mit Dr. med. Martin Gerber, Facharzt für Chirurgie, speziell Allgemeinchirurgie und Traumatologie

Martin Gerber, Facharzt für Chirurgie, speziell Allgemeinchirurgie und Traumatologie, ist seit über 6 Jahren als Leitender Arzt an der Klinik für Chirurgie am Spital Zollikerberg tätig. Er referierte zum Thema Kniebeschwerden am Mittwoch, 8.11.2017, gemeinsam mit Dr. med. (GR) Markos Ioannou, Facharzt für Orthopädie und Traumatologie des Bewegungsapparates am Spital Zollikerberg, und Dr. med. Andreas Schierz, Facharzt für Chirurgie, speziell Allgemeinchirurgie und Traumatologie am Spital Zollikerberg. Das Interview wurde ein paar Tage nach der Veranstaltung geführt.
Herr Gerber, sie haben unter anderem über die Behandlung eines Kreuzbandrisses mit der sogenannten All-Inside-Methode referiert. Können Sie kurz erläutern, was ein Kreuzbandriss ist und wie er entstehen kann?
Dr. med. Martin Gerber: Ich habe hauptsächlich über das vordere Kreuzband gesprochen. Das hintere Kreuzband ist glücklicherweise weit weniger von Verletzungen betroffen als das Vordere. Im Gegensatz zum vorderen Kreuzband kann das hintere Kreuzband auch wieder zusammenwachsen, so dass eine Operation nur sehr selten notwendig ist. Das vordere Kreuzband hingegen wächst nach einem Riss fast nie wieder zusammen – das hat mit der Lage im Kniegelenk und der Blutversorgung zu tun – und muss eventuell operiert werden, wenn die Patientin oder der Patient mit konservativen Therapien, also Muskeltraining und Physiotherapie, kein stabiles Kniegelenk erreicht.
Die Kreuzbänder sind mittig im Kniegelenk und sind mit den Seitenbändern und den Menisci wichtige «Weichteil»-Stabilisatoren, da das Knie nur durch Muskeln, Bänder und Sehnen und nicht durch eine knöcherne Führung stabilisiert wird, im Gegensatz beispielsweise zum Hüftgelenk, wo eine Kugel – der Hüftkopf – in einer Pfanne knöchern geführt wird. Reissen kann ein Kreuzband, wenn grosse Kraft auf das Kniegelenk oder den Unterschenkel ausgeübt wird, typischerweise beim Skifahren oder Fussball spielen.
Und wie funktioniert die All-Inside-Operation? Wie gehen Sie vor?
Das spezielle der All-Inside-Technik ist, dass die Knochenkanäle, in welche das neue Kreuzband eingezogen wird, nur im Knie drin gebohrt werden. Das heisst, es wird kein durchgehendes Loch durch den Ober- und Unterschenkelknochen gebohrt, sondern nur eine Art Sockel. Dies ist durch ein spezielles Instrument, den sogenannten Flip-Cutter, möglich. Dabei wird eine Art dicker Draht von aussen über ein Zielgerät ins Knie gebohrt – exakt an der anatomischen Position des Kreuzbandes. Dann kann die Spitze des Drahtes im Knie um 90 Grad umgeklappt werden und aus dem Draht entsteht sozusagen ein Bohrer, der dann von innen im Knie einen Sockel bohren kann. Über Fäden, welche dann eingebracht werden, kann das speziell vorbereitete neue Kreuzband ins Kniegelenk eingezogen werden. Die Befestigung erfolgt über kleine Metallplättchen und unzerreissbaren Fäden, wobei die Spannung des neuen Kreuzbandes exakt eingestellt werden kann.
Woraus besteht das neue Kreuzband?
Das neue Kreuzband besteht aus einer Patienten-eigenen Sehne, welche an der inneren Hinterseite des Oberschenkels liegt. Diese sogenannte Semitendinosussehne ist Teil einer Muskelgruppe am hinteren Oberschenkel und es entsteht kein Kraftverlust, wenn diese Sehne entfernt wird. Die Sehnenentnahme erfolgt über einen 1,5 cm langen Schnitt in der Kniekehle mit speziellen Instrumenten – sogenannten Sehnenstrippern. Diese Sehne hat üblicherweise eine Stärke von ca. 2–2,5 mm und ein Länge von etwa 26-28 cm. Die Sehne wird dann zweimal zusammengefaltet – also vierfach genommen – womit ein Transplantat von ca. 8–10 mm Dicke und 5,5–7 cm Länge entsteht. Die Dicke und die Stabilität entsprechen ziemlich exakt einem normalen vorderen Kreuzband. Das Band wird je ungefähr 2–2,5 cm in den Oberschenkel- und den Unterschenkelknochen gezogen womit im Gelenk ein funktionelles neues Kreuzband von 1,5–2 cm Länge entsteht. Die Spannung kann durch das Anziehen der Fäden sehr genau reguliert werden, die Länge variiert je nach Grösse des Patienten.
Sie haben erwähnt, dass das Spital Zollikerberg diese Operationsart seit 1.5 Jahren anwendet. Wie sind Ihre Erfahrungen bisher? Wo sehen Sie die Vorteile?
Die Technik hat meines Erachtens einige grosse Vorteile. Es muss beispielsweise nur eine Sehne entnommen werden. Bei anderen Techniken muss die Sehne wegen der anderen Verankerung im Knochen länger sein und deswegen müssen oft zwei Sehnen entnommen werden. Meiner Meinung nach ist diese Sehne das geeignetste Material für den Kreuzbandersatz, alle anderen Techniken wie beispielsweise Kniescheibensehen haben auch an den Entnahmestellen zum Teil grössere Nachteile.
Da der Bohrsockel exakt der Dicke des Transplantates angepasst werden kann, entsteht eine sehr genaue Einpassung des Bandes in den Knochen – die sogenannte «press-fit»-Technik, womit eine stabile Verankerung und rasche Einheilung erreicht werden kann. Durch die spezielle Anordnung der Fäden kann das Transplantat ausserdem wie bei einem Flaschenzug eingezogen und perfekt dosiert gespannt werden.
Und für einige Patientinnen und Patienten sicher relevant ist das ausgezeichnete kosmetische Resultat – es bleiben nur vier kleinste Schnitte am Knie (2–4 mm) und eine kleine Narbe von ca. 1,5 cm in der Kniekehle.
Unsere Erfahrungen mit dieser Technik sind sehr gut. Technisch ist die Operation anspruchsvoll, darum operieren eigentlich immer zwei Leitende Ärzte zusammen. Es gibt – wie bei jeder neuen Technik – Tricks und Fallstricke, inzwischen sind wir aber sehr routiniert und kennen und meistern, auch dank der hochkompetenten Hilfe des Aussendienstmitarbeiters der Firma, die Klippen. Die funktionellen Resultate sind ausgezeichnet und die Patientenzufriedenheit ist sehr hoch.
Eine generelle Frage zum Schluss: Können Knieprobleme durch präventive Massnahmen verhindert werden?
Wie bereits erwähnt hat das Kniegelenk keine gute knöcherne Stabilisierung und wird zu einem Grossteil durch Bänder und Sehnen geführt. Ein gutes Training der Muskulatur und des Gleichgewichtsinns hilft, Kräfte aufzufangen, damit sie nicht von dem empfindlichen Knorpel und den Menisci aufgefangen werden müssen. Es kann auch helfen, Unfälle zu vermeiden, zum Beispiel beim Skifahren. Zudem sollte die Belastung auf das Knie minimiert werden – sei dies durch Gewichtsreduktion bei Übergewicht oder Vermeidung von starken Schlägen, beispielsweise durch geeignetes Schuhwerk beim Sport oder der Vermeiden von Kniegelenk belastenden Sportarten wie Squash, Tennis, Fuss- oder Basketball vor allem bei schon vorgeschädigten Knien.