Fokus Gesundheit
11.04.2018
Der schmerzhafte Vorfuss – Lösungsvorschläge zur Wiederherstellung eines gesunden Fusses.
Interview mit Dr. med. Judith Fellmann, Fachärztin für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparate

Dr. med. Judith Fellmann, Fachärztin für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, ist seit 16 Jahren als Belegärztin im Spital Zollikerberg tätig und führt mit Dr. med. Thomas Ledermann seit 18 Jahren die Praxis Balance in Zürich. Sie referierte zum Thema Vorfussschmerzen am Mittwoch, 12.04.2018, gemeinsam mit Dr. med. Thomas Ledermann, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates. Das Interview wurde ein paar Tage nach der Veranstaltung geführt.
Frau Fellmann, können Sie kurz erläutern, ab welchem Zeitpunkt man von einem Hallux valgus spricht und welche Faktoren zur Entstehung beitragen?
Dr. med. Judith Fellmann: Der Hallux valgus wird definiert durch eine Abweichung des ersten Mittelfussknochens zur Innenseite hin und der grossen Zehe zur Aussenseite hin. Manchmal ist das Grosszehengrundgelenk zusätzlich noch degenerativ verändert, in diesem Fall sprechen wir von einem Hallux valgus et rigidus. Der Schweregrad der Hallux valgus Deformität wird mit dem Hallux valgus Winkel definiert. Ein Winkel zwischen 0° bis 15° wird als normal definiert, Winkel von 16° und mehr werden in 3 Schweregrade eingeteilt. Letztere helfen dem Fussmediziner zu entscheiden, ob ein konservatives therapeutisches Verfahren sinnvoll ist oder ob eine operative Behandlung bereits notwendig wird. Die Entstehung des Hallux valgus ist multifaktoriell. Einerseits spielen genetische Faktoren eine wesentliche Rolle, andererseits sind auch extrinsische Faktoren wie zum Beispiel das Schuhwerk «High heels» für die Entwicklung und Progredienz dieser Deformität des Grosszehen mitverantwortlich.
Ist jeder Hallux valgus mit Schmerzen verbunden?
Nein, die Hallux valgus Deformität ist nicht immer mit Schmerzen verbunden. Es muss immer nach der wahren Schmerzursache gesucht werden. Dabei gibt es viele Möglichkeiten wie Entzündungen des Schleimbeutels, mechanische Reizungen der Pseudoexostose, degenerative oder entzündliche Veränderungen des Grosszehengrundgelenkes, Veränderungen der Sesambeine und noch einiges mehr. Trotzdem darf erwähnt werden, dass die Hallux valgus Deformität in fast allen Fällen mit den Jahren zunimmt und mit der Zeit doch sehr häufig Beschwerden auftreten. Neben dem Hallux valgus müssen auch immer die kleinen Zehen 2–5 mituntersucht werden, damit weitere Schmerzursachen von diesen Zehen ausgehend nicht verpasst werden.
Empfehlen Sie Betroffenen, ein MRI anfertigen zu lassen, um den Hallux valgus besser beurteilen zu können?
Nein. Der Hallux valgus sowie die Deformität der kleinen Zehen ist zuerst eine klinische Diagnose. Um danach genauere Information über die Winkel, den Zustand des Grosszehengrundgelenkes und weiteren Begleitpathologien zu erhalten ist eine konventionelle Röntgenaufnahme des ganzen Fusses dorsoplantar und seitlich, stehend in den meisten Fällen ausreichend. Ein MRI wird notwendig, wenn eine Durchblutungsstörung vermutet wird, zum Beispiel eine Nekrose des ersten Mittelfussköpfchens oder bei der Suche nach einem Morton-Neurom. In gewissen Fällen kann das MRI auch hilfreich sein in der Beurteilung der Weichteile, zum Beispiel der plantaren Platte bei einer Instabilität im Grundgelenk der zweiten Zehe.
Wann ist ein operativer Eingriff unumgänglich?
Eine Hallux valgus Deformität sollte nie nur aus ästhetischen Gründen operativ behandelt werden. In der Praxis Balance operieren wir erst dann, wenn einerseits der Schmerz und die Abweichung des Grosszehen nach lateral korrelieren und andererseits die Grosszehendeformität so stark ist, dass die Nachbarzehen deswegen ebenfalls lateralisiert werden und in Mitleidenschaft geraten. Bei jedem schmerzhaften Vorfuss ist es aber äusserst wichtig, dass alle pathologischen Komponenten bei einer Operation berücksichtigt und korrigiert werden, nur so werden wir der Komplexität des Fusses gerecht.
Wie stehen Sie zu minimalinvasiven Operationen?
Die minimalinvasiven Operationen am Fuss gehören heute zum Standard, insbesondere in der Vorfusschirurgie. Es ist aber wichtig eine strenge Indikation zu stellen. Der Patient wird von uns immer so aufgeklärt, dass eventuell das Verfahren während der Operation von minimalinvasiv zur offenen Chirurgie gewechselt werden muss. Der Patient, welcher sich minimalinvasiven Eingriffen unterzieht, muss nach der Operation bereit sein, mehrmals für das Anlegen eines postoperativ führenden Verbandes in die Praxis zu kommen, das heisst sein Mitwirken, seine Compliance muss ausgezeichnet sein.
Besteht die Möglichkeit, im Alltag vorbeugende Massnahmen zu treffen, z.B. mithilfe von Dehnungsübungen?
Wie bereits erwähnt hat ein Teil der Hallux valgus Deformität eine genetische Ursache, dabei scheint auch eine gewisse Schwäche des Bindegewebes eine Rolle zu spielen. Dieser Anteil kann im Alltag kaum beeinflusst werden. Hingegen besteht in den meisten Fällen auch eine muskuläre Dysbalance. Diese kann sehr wohl durch kräftigende, teilweise auch dehnende Übungen korrigiert werden. Sinn machen solche Übungen beim Hallux valgus Stadium I. Wichtig ist, dass man bereit ist, ein Übungsprogramm korrekt zu erlernen und es danach über lange Zeit, durchschnittlich 6 Monate täglich durchführt. Ebenfalls kann das Tragen von Schuhen mit weichem Obermaterial, breiter Zehen Box, eher dicker wenig flexibler Sohle und einem vernünftigen Absatz (aus orthopädischer Sicht maximal 3 cm) zur Minderung der Beschwerden beitragen. Einlagen korrigieren den Hallux valgus nicht, können aber die Metatarsalgie lindern.