Fokus Gesundheit
10.05.2017
Leistenbruch und andere Bauchwandbrüche – Spektrum der Therapiemöglichkeiten
Interview mit Dr. med. Stephan Müller, Chefarzt und Klinikleiter Chirurgie

Stephan Müller, Facharzt für Chirurgie (Schwerpunkte Viszeralchirurgie, Allgemeinchirurgie und Traumatologie), ist seit über 10 Jahren als Chefarzt der Klinik für Chirurgie am Spital Zollikerberg tätig. Er referierte zum Thema Leistenbruch und andere Bauchwandbrüche am Mittwoch, 10.05.2017, gemeinsam mit Dr. med. René Spalinger, Facharzt für Chirurgie (Schwerpunkte Allgemeinchirurgie und Traumatologie) am Spital Zollikerberg. Das Interview wurde ein paar Tage nach der Veranstaltung geführt.
Herr Müller, was ist und wie entsteht eine Leistenhernie?
Dr. med. Stephan Müller: Bei einer Leistenhernie hat sich in der Leiste eine Lücke ausgebildet, durch die Gewebe und/oder Organe aus dem Bauchraum nach aussen rutschen können. Die Lücke bildet sich einerseits im Bereich bekannter Schwachstellen aus und andererseits wird sie durch die Qualität des Bindegewebes begünstigt. So entstehen beispielsweise viele Leistenhernien bei zunehmendem Alter, wenn das Bindegewebe eben schon etwas schlaffer geworden ist. Auch ständiger erhöhter Druck im Bauchraum führt dazu, dass eine Schwachstelle oder kleine Lücke rascher grösser wird. Das kommt beispielsweise bei chronischem Husten oder Pressen wegen Verstopfung oder Problemen beim Wasserlösen (vergrösserte Prostata), bei schwerer körperlicher Arbeit oder Sport mit entsprechender Anstrengung (Krafttraining usw.) vor.
Wie kann man erkennen, ob man selbst an einer Leistenhernie leidet?
Die typischen Symptome einer Leistenhernie sind eine Schwellung und/oder Schmerzen in der Leiste. Die Schwellung nimmt im Verlauf zu, wenn die Hernie grösser wird. Selten kommt es auch einmal zu einer Einklemmung. Die ist äusserst schmerzhaft und macht eine notfallmässige Operation notwendig, allenfalls mit Darmteilentfernung.
Welche Behandlungsmöglichkeiten bestehen? Ist eine Operation immer notwendig oder gibt es Alternativen?
Grundsätzlich kann eine Hernie nur mit einer Operation geheilt werden. Medikamente oder Therapien helfen nichts. Ein Bruchband ist ebenfalls nutzlos. Es verhindert eine Hernie und deren Wachstum oder Einklemmung nicht und ist zusätzlich unbequem und unhygienisch.
Es gibt für die unterschiedlichen Arten von Hernien und Situationen verschiedene operative Techniken. Wichtig ist, dass die Therapie individualisiert erfolgt. Dazu muss ein ausführliches Aufklärungsgespräch vor der Operation mit dem Operateur stattfinden. Der Operateur muss jeweils die verschiedenen operativen Techniken beherrschen. Am Spital Zollikerberg können alle Methoden der Leistenhernien-Operation, aber auch von anderen Bauchwandhernien durchgeführt werden.
Das Abwarten bei schmerzfreien Leistenhernien führt sehr oft zu einer Operation zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Hernie grösser und schmerzhaft geworden ist oder wenn sie eingeklemmt ist und wenn die Patientin oder der Patient dann auch schon wieder ein bisschen älter und hoffentlich nicht weniger gesund ist.
Wie funktioniert die Operation? Besteht ein hohes Komplikationsrisiko?
Bei der Operation wird grundsätzlich immer das herausgleitende Gewebe/Organ an seinen Ursprungsort zurückverlagert und die Bruchlücke verschlossen und verstärkt (meist mit einem Kunststoffnetz), um ein Wiederauftreten einer Hernie zu vermeiden. Das operative Risiko ist klein, die Komplikationsrate ebenfalls. Die häufigste Komplikation ist ein lokaler Bluterguss. Das Wiederauftreten einer Hernie an der gleichen Stelle kann mit sehr niedrigen Raten von ca. 1–2% weitgehend verhindert werden. Die implantierten Kunststoffnetze werden in aller Regel problemlos vertragen. Es gibt keine allergischen oder Unverträglichkeits-/Abstossungsreaktionen. Diese Operation lässt sich meist auch bei betagten und/oder mehrfach erkrankten Patientinnen und Patienten sicher durchführen.
Können Operationen ambulant durchgeführt werden?
Die Operation der Leistenhernie kann häufig auch ambulant durchgeführt werden. Bringt der Patient oder die Patientin Risikofaktoren mit wie beispielsweise eine erhöhte Blutungsneigung, ein schweres Herzleiden usw., erfolgt die Operation vernünftigerweise im stationären Rahmen, meist mit 1 Übernachtung.
Können Leistenhernien durch präventive Massnahmen verhindert werden?
Es gibt leider keine Prävention von Leistenhernien. Lediglich Faktoren, die das Wachstum einer Hernie begünstigen, können eventuell vermieden werden. Dazu gehören alle Tätigkeiten, die den Druck im Bauchraum erhöhen.