Kommen Sie als Patient:in für «Visit – Spital Zollikerberg Zuhause®» in Frage?
Dr. med. Elisa Heising
11. Januar 2023
15 min
Frau Dr. Heising, das Zusatzangebot «Visit – Spital Zollikerberg Zuhause®» gibt es nun schon seit einem Jahr. Erzählen Sie uns: Was hat es damit auf sich?
«Visit – Spital Zollikerberg Zuhause®» ist ein Angebot, das es uns ermöglicht, akut medizinisch erkrankte Patient:innen in ihrer häuslichen Umgebung zu behandeln, anstatt sie in unserem Spital auf der Station zu betreuen. Es ist ein innovatives Projekt der Stiftung Diakoniewerk Neumünster - Schweizerische Pflegerinnenschule, Trägerin des Spitals Zollikerberg. «Visit» basiert auf dem «Hospital at Home»-Ansatz, der in vielen Ländern schon etabliert ist – hier in der Schweiz aber noch etwas Neues ist. Wir haben das grosse Glück, dieses Projekt im Spital Zollikerberg umsetzen zu können.
Sie sagen, das Angebot gelte für Patient:innen mit einer akuten medizinischen Erkrankung. Gibt es zusätzliche Kriterien, damit jemand für das Angebot in Frage kommt?
«Visit – Spital Zollikerberg Zuhause®» richtet sich an Patient:innen aller Altersgruppen, die bei bestimmten Diagnosen oder einem bestimmten Schweregrad der Erkrankung akut medizinisch hospitalisiert werden würden. Die Auswahl der Patient:innen für «Visit» richtet sich nach Faktoren wie dem Krankheitsbild, ob die Behandlung zuhause durchführbar ist und ob die Patient:innen sich eine Behandlung zu Hause vorstellen können. Hier spielen natürlich auch organisatorische Faktoren wie die häusliche Infrastruktur, das Sozialsystem und die Reichweite des Spitals Zollikerberg eine Rolle. Es ist wichtig zu wissen, dass «Visit» keine «Intensivmedizin at Home» ist, sondern eine Behandlung, die einer stationären Spitalbehandlung entspricht.
Wie muss man sich den Ablauf von «Visit» vorstellen? Was kommt da alles auf die Patient:innen zu?
Die Patient:innen werden wie üblich durch ihren Hausarzt ins Spital Zollikerberg überwiesen, mit dem Rettungsdienst eingeliefert oder sie kommen über die Notfallstation in unser Spital. Dort führen wir zunächst die notwendigen Abklärungen durch, um festzustellen, woran der Patient oder die Patientin erkrankt ist und erstellen zusammen mit den Spezialistinnen und Spezialisten vor Ort im Spital einen Behandlungsplan.
Danach stellen wir uns die Frage: Wäre es möglich, diese Erkrankung mit «Visit» zuhause zu behandeln? Dazu ermitteln wir, ob die Vitalparameter der Patientin oder des Patienten stabil genug sind – es darf also niemand sein, der intensivmedizinisch versorgt werden muss. Lässt der Allgemeinzustand eine Betreuung zuhause zu, schauen wir, welche Therapien notwendig sind und ob diese Therapien zuhause auch umsetzbar sind. Hier reden wir beispielsweise von Sauerstoffgabe oder Atemtherapie. Die nächsten Fragen, die wir klären müssen, sind: Möchte der Patient die Betreuung zuhause? Ist ein soziales Supportsystem gewährleistet? Ist die Patientin in der Lage, sich selbst zu versorgen oder hat sie ausreichend Unterstützung von Angehörigen? Wenn wir hier auf zufriedenstellende Antworten stossen, dann organisieren wir von der Notfallstation aus den Transport nach Hause.
Das «Visit»-Team stellt sich der Patientin oder dem Patienten vor und ist von da an das Behandlungsteam. Die medizinische Behandlung zuhause beginnt: Es gibt eine tägliche ärztliche Visite, dreimal in der Woche eine zusätzliche Oberarztvisite und mindestens zweimal täglich Pflegevisiten zum Früh- und Spätdienst – und mehr, falls zusätzliche Einsätze erforderlich sind, etwa wenn es dem Patienten nicht gut geht oder die Patientin eine weitere Therapie benötigt.
Zusätzlich zu den Visiten wird der Patient oder die Patientin auch mittels Telemonitoring überwacht: Es gibt eine kleine Elektrode, die auf dem Brustkorb klebt und kontinuierlich die Herzfrequenz, die Atemfrequenz und teilweise auch die Sauerstoffsättigung misst. So können wir überprüfen, wie der Allgemeinzustand der Person ist und eine Verschlechterung frühzeitig erkennen.
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Das klingt sehr spannend! Aber ein Gedanke kommt bei mir auf: Die Behandlung zuhause kann doch unmöglich genauso sicher sein wie im Spital…
Es ist schon so, dass selbst ich als Ärztin mir das anfangs kaum vorstellen konnte. Auch ich hatte diese Vorstellung, dass das Spital der sichere Raum ist – dort gibt es Ärzte und Pflegende, die rund um die Uhr schauen. Wir haben aber mit «Visit» die positive Erfahrung gemacht, dass wir das häusliche Umfeld durch die Struktur, die wir während der Behandlung zuhause bieten, zu einem mindestens genauso sicheren Raum machen können wie das Spital. Und für bestimmte Patient:innen, vor allem ältere Personen, ist es zuhause sogar noch sicherer, da die vertraute Umgebung ihnen per se ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Im Spital ist es in diesen Fällen schwieriger, weil die Räume anders sind, da finden die Patient:innen nachts zum Beispiel den Weg zur Toilette nicht, stolpern über den Infusionsständer oder finden sich nicht zurecht, weil alles anders aussieht als zuhause. Die gewohnte Umgebung bei «Visit» gibt besonders älteren Patient:innen Orientierung und Halt. Sicherheit bieten wir gleichzeitig auch dadurch, dass wir das Telemonitoring zur Patientenüberwachung nutzen und dass die Patient:innen primär von uns bereits schon so ausgewählt werden, dass es überhaupt möglich ist, sie zuhause zu behandeln. Zudem sind wir rund um die Uhr pflegerisch und ärztlich erreichbar – wir sind also insgesamt sehr nah an den Patient:innen.
Und was passiert, wenn doch einmal ein Notfall eintritt?
Zunächst haben wir bei «Visit» drei verschiedene Alarmierungssysteme. Das erste sind die Patient:innen selbst, die uns jederzeit anrufen und sagen können, dass sie sich nicht wohlfühlen, woraufhin wir uns persönlich ein Bild machen – innerhalb von maximal 15 Minuten Fahrtzeit sind wir bei ihnen zuhause. Das zweite ist, dass ein Angehöriger anruft und sagt, dass es der Patientin oder dem Patienten nicht gut geht. Und das dritte ist das Telemonitoring, das uns alarmiert und anzeigt, dass etwas nicht stimmt.
In einem absoluten Notfall, also wenn der Patient oder die Patientin vitalgefährdet ist, alarmiert das «Visit»-Team umgehend «Schutz und Rettung», die sie oder ihn präferiert ins Spital Zollikerberg bringen würde und sie oder er dort sekundär hospitalisiert werden würde. Das, was man so vor Augen hat – den plötzlichen Herztod oder eine plötzliche Bewusstlosigkeit – das kann wohlgemerkt auch im Spital passieren. Wir haben hauptsächlich Einzelzimmer und auch hier können die Patient:innen nicht rund um die Uhr überwacht werden.
Wenn die Patient:innen nicht vitalgefährdet sind, gehen wir direkt zu ihnen – so wie wir es auch bei uns auf der Station im Spital tun. Dort klingelt der Patient oder die Patientin, die Pflege geht hin und ruft wiederum den Dienstarzt. Bei «Visit» entscheiden wir dann als Team vor Ort, ob wir die Behandlung zuhause weiterführen können oder ob sich der allgemeine Zustand so verschlechtert hat, dass sie oder er doch eine intensivere Betreuung oder Therapie benötigt, die nur im Spital möglich ist.
Lassen Sie uns über Ihre persönliche Erfahrungen in diesem ersten Jahr von «Visit» sprechen. Was ist das Prägendste, was Sie erlebt haben?
Also erstmal muss ich sagen, dass ich absolut begeistert bin von dem Projekt. Weil wir dadurch einfach eine viel ganzheitlichere Wahrnehmung der Patient:innen haben. Wir sehen sie im häuslichen Umfeld, mit ihren eigenen Ressourcen, wie sie leben, wie die familiären Strukturen sind, wie sie sich ernähren – das macht ganz viel aus. Wir erkennen, wie wir zusätzlich beraten können, so dass es zu einem nachhaltig höheren Gesundheitsniveau kommt. Das hat mich sehr beeindruckt und ich bin überzeugt, dass wir mit «Visit» eine nachhaltig bessere Medizin bieten und machen, eben weil wir die Patient:innen ganzheitlicher betrachten können. Medizin ist nicht nur Medikamente verabreichen, sondern auch Gewohnheiten verändern, Ernährung, Bewegung – einfach die allgemeine Gesundheitsförderung und da haben wir bei «Visit» mehr Möglichkeiten.
Auch eine neue Erfahrung für mich: Mit «Visit» bin ich als Ärztin zu Gast bei den Patient:innen. Damit verschiebt sich meine Rolle als Ärztin und ermöglicht eine neue Beziehungsebene zwischen Patient:innen und Ärztin. Ich habe so die Möglichkeit, mehr über die Patient:innen zu erfahren und näher an sie heranzukommen. Die Hierarchien werden aufgebrochen und die Patienten-Autonomie wird dadurch gestärkt. Als Ärztin bin ich so eher eine Helferin und habe eine weniger autoritäre Rolle als im Spital.
Das sind sehr positive Eindrücke und Erkenntnisse. Haben Sie auch Schreckensmomente erlebt?
Ja, wir hatten wirklich einen Schreckensmoment, aus dem wir gelernt haben: Wir konnten den Patienten telefonisch nicht erreichen und das Telemonitoring war unterbrochen. Also sind wir umgehend hingefahren und haben beim Patienten zuhause geklingelt, worauf dieser nicht reagiert hat. Da hatten wir grosse Sorge – aber kurz bevor wir uns Zugang zur Wohnung verschaffen wollten, um sicher zu gehen, dass es ihm gut geht, hat er dann doch noch schlaftrunken die Tür aufgemacht. Es stellte sich heraus, dass er das Telefon nicht gehört hatte und seine Klingel kaputt war – es kam also ein technischer Defekt nach dem anderen auf. Wir waren alle sehr erleichtert und froh, dass es dem Patienten gut ging. Neu haben wir dann die Regel eingeführt, dass wir bei Patient:innen, die alleine zuhause leben, immer einen zweiten Schlüssel haben, damit wir uns in solchen Notsituationen schnell Zugang verschaffen können.
Es ist wahnsinnig viel, was wir im ersten Jahr «Visit» durch solche und andere Situationen gelernt und was wir entsprechend angepasst haben. Wir konnten die Prozesse optimieren, um noch schneller zu werden und als Team besser zusammenarbeiten – ich kann aber sagen, dass diese Learnings zu keinem Zeitpunkt auf Kosten der Patientensicherheit gingen, die im Gegenteil immer sehr gut aufgehoben waren. Wenn, dann waren es technische Erkenntnisse oder interne Prozesse, die wir verbessert haben.
Werfen wir zum Abschluss des Interviews noch einen Blick in die Zukunft: Was haben Sie für Wünsche oder Pläne in Bezug auf «Visit»?
Ich wünsche mir, dass «Visit» kein Pilotprojekt bleibt, sondern, dass die Möglichkeit, Patient:innen akut medizinisch auch zuhause zu behandeln ein fester Bestandteil unseres Gesundheitssystems wird. Damit einhergehend wünsche ich mir ein Umdenken sowohl bei den Ärztinnen und Ärzten als auch den Pflegenden und den Patient:innen, dass eben nicht nur das Spital der sichere Raum ist, sondern dass man zuhause eine mindestens gleichwertige qualitativ und sichere Medizin bieten kann, die insgesamt zu einer nachhaltig besseren Gesundheitsförderung führt. Also, dass es in den Köpfen der Menschen etabliert ist und es ein reguläres Angebot im Gesundheitssystem ist, auf das man vertrauen kann.
Und mein zweiter Wunsch ist, dass wir «Visit» auf mehr Patient:innen ausweiten und die Strukturen flüssiger werden – dass wir beispielsweise auch Palliativpatienten betreuen können, die viel länger eine medizinische Behandlung zuhause brauchen.
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