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Ratgeber

Herzinfarkt erklärt: Die Mechanismen und Risikofaktoren

KD Dr. med. Simon Andreas Müggler

KD Dr. med. Simon Andreas Müggler

29. September 2023

lesezeit

10 min

Erfahren Sie von Dr. med. Simon Andreas Müggler, Leitender Arzt Kardiologie, wie ein Herzinfarkt entsteht, welche Symptome auftreten und wie Sie Ihr Herzinfarktrisiko minimieren können.

Herr Dr. med. Simon Andreas Müggler, wie entsteht ein Herzinfarkt?

Das Herz schlägt jeden Tag etwa 100'000 Mal und transportiert dabei über 7'000 Liter Blut. Damit unser Herz schlagen kann und den Körper mit sauerstoffreichem Blut und Nährstoffen versorgen kann, benötigt es selbst ausreichend sauerstoffreiches Blut. Über drei grosse Arterien (Herzkranzarterien oder Koronararterien) wird das Blut im Herzmuskel verteilt. Eine wichtige Voraussetzung für eine normale Durchblutung sind gesunde und durchgängige Gefässe. Verschiedene Zustände, am häufigsten die Arteriosklerose, führen zu Schäden an den Herzkranzarterien. Bei der Arteriosklerose verdicken sich die Gefässwände durch die Einlagerung von Cholesterin und nachfolgende Verkalkungsvorgänge, es bilden sich so genannte Arteriosklerose-Plaques. Wenn nun eine solche Plaque «aufbricht», gerinnt das Blut an dieser Stelle und verschliesst damit plötzlich das Gefäss mehr oder weniger vollständig, es kommt zum Herzinfarkt (Myokardinfarkt).

Können Sie mehr darüber erzählen, wie sich ein Herzinfarkt auf den Herzmuskel auswirkt und warum er lebensbedrohlich sein kann?

Ein Herzinfarkt in seiner typischen Form ist ein akutes, lebensbedrohliches Ereignis infolge einer plötzlichen Durchblutungsstörung einer Herzkranzarterie. Diese Durchblutungsstörung führt zu einem akuten Sauerstoffmangel in den Herzmuskelzellen, die von der betroffenen Herzkranzarterie abhängig sind. Wird die Durchblutungsstörung nicht schnell behoben, werden die Herzmuskelzellen irreversibel geschädigt und gehen zugrunde.

Lebensbedrohlich ist ein Herzinfarkt vor allem deshalb, weil es zu gefährlichen Herzrhythmusstörungen wie Kammerflimmern kommen kann (dies auch bei kleineren Herzinfarkten) oder mechanische Komplikationen wie beispielsweise ein Riss im Herzmuskel auftreten können. Neben der Arteriosklerose gibt es seltenere Ursachen für einen Herzinfarkt, zum Beispiel Verkrampfungen der Herzkranzgefässe (Koronarspasmus), ein Einriss der Gefässwand einer Herzkranzarterie (Koronardissektion) oder die Verschleppung eines Blutgerinnsels (Embolie) oder einer Absiedelung von Bakterien in eine Herzkranzarterie.

Wie fühlen sich Menschen, die kurz vor einem Herzinfarkt stehen? Was sind die Symptome?

Es gibt Menschen, bei denen ein Herzinfarkt ohne Vorwarnung auftritt und somit das erste Symptom einer Herzerkrankung ist. Häufig beklagen Menschen vor einem Herzinfarkt aber Symptome wie Angina pectoris bei körperlicher oder emotionaler Belastung oder in der Nacht. Typische Angina pectoris äussert sich als flächiges, dumpfes, brennendes oder beklemmendes «Engegefühl in der Brust», wie wenn ein «Gewicht über dem Brustkorb liegen würde» oder eine «Faust auf den Brustkorb drückt». Die Beschwerden verschwinden dann nach Abbruch der Belastung innerhalb weniger Minuten vollständig, die Einnahme von Nitroglyzerin-Medikamenten kann dies unterstützen. Eine Angina pectoris kann lange Zeit stabil bleiben, aber auch immer häufiger, länger und bei geringerer Belastung auftreten, spätestens dann ist umgehend eine ärztliche Abklärung notwendig.

Symptome eines akuten Herzinfarkts sind vor allem die Angina pectoris, die dann meist stärker ausgeprägt ist und nicht innerhalb von Minuten wieder verschwindet, und in die Arme (links und rechts), den Hals, den Kiefer, den Rücken und den Oberbauch ausstrahlen kann. Häufig kommt es zu Begleitsymptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Schweissausbrüchen, Schwindel und Atemnot.

Eine Minderheit aller Herzinfarkte präsentiert sich mit nur milden oder sogar ganz fehlenden Beschwerden («stummer» Herzinfarkt), diese Form wird häufig erst später zufällig im EKG («Herzstromkurve») oder mittels Herzultraschall festgestellt.

Wie sieht es mit dem Herzinfarkt bei Frauen aus: Was ist anders als bei Männern?

Tatsächlich zeigen Frauen, wie auch ältere Menschen, häufiger weniger typische Symptome wie Männer oder jüngere Menschen. Diese atypischen Beschwerden umfassen beispielsweise akute Atemnot, allgemeine Schwäche und Erschöpfungszustände oder Magenbeschwerden. In mehreren Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Frauen mit akutem Herzinfarkt anders als Männer behandelt werden. Beispielsweise wird bei Frauen weniger häufig eine zeitnahe Herzkatheteruntersuchung durchgeführt, obwohl es keine Empfehlungen gibt, einen Herzinfarkt bei Frauen und Männern unterschiedlich zu behandeln. Bei Menschen mit Diabetes mellitus («Zuckerkrankheit») kommt es aufgrund der chronischen Nervenschädigung ebenfalls häufiger zum stummen Herzinfarkt, da das Schmerzempfinden herabgesetzt ist. 

Wer ist besonders gefährdet und was sind die Risikofaktoren für einen Herzinfarkt?

Das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, setzt sich zu einem Drittel aus beeinflussbaren Risikofaktoren (siehe unten), zu einem Drittel aus der Genetik (familiäre Vorbelastung) und zu einem Drittel aus Zufall zusammen. Da somit nur ein Drittel des Risikos beeinflusst werden kann, ist eine strikte Kontrolle dieser Herz-Kreislauf-Risikofaktoren fundamental, um das Herzinfarktrisiko, wie übrigens auch das Schlaganfallrisiko, zu senken.

Zu den wichtigsten Risikofaktoren gehören die arterielle Hypertonie («hoher Blutdruck»), erhöhte Blutfettwerte (insbesondere Cholesterin, «Dyslipidämie»), Rauchen (Tabakkonsum), Übergewicht und Diabetes mellitus. Nicht beeinflussbare Faktoren sind neben der Genetik auch das männliche Geschlecht und das Alter. Menschen mit oben genannten Risikofaktoren sind somit besonders gefährdet, einen Herzinfarkt zu erleiden.

Welche Massnahmen helfen, Herzinfarkten vorzubeugen?

Wie eben erwähnt ist eine strikte Kontrolle der kardiovaskulären Risikofaktoren entscheidend. Ein zu hoher Blutdruck kann ohne Medikamente oft nicht genügend gesenkt werden. Erhöhte Blutfettwerte (Cholesterin) lassen sich durch eine reine Ernährungsoptimierung («mediterrane Diät») leider nur um circa 10 bis 15% reduzieren, oft sind auch hier Medikamente notwendig, um die individuellen Zielwerte des LDL-Cholesterins, das sogenannte «schlechte» Cholesterin, zu erreichen. Übrigens ist die Wirksamkeit der medikamentösen Cholesterinsenkung im Hinblick auf die Verbesserung des Überlebens und der Reduktion beispielsweise von Herzinfarkten durch unzählige – auch von pharmazeutischen Unternehmen unabhängigen – Studien und Registerdaten belegt.

Ganz wichtig ist es auch, mit dem Rauchen aufzuhören. Raucher:innen leben durchschnittlich 11 Jahre (Frauen) respektive 12 Jahre (Männer) weniger lang als Nichtraucher:innen, auch nach langjährigem Tabakkonsum bringt ein Rauchstopp immer noch eine Verbesserung der Prognose. Den Tabakkonsum lediglich zu reduzieren, bringt leider nicht viel. So haben Menschen, welche nur noch eine Zigarette täglich konsumieren, immer noch 40 bis 50 Prozent des erhöhten Risikos, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden (im Vergleich zum Konsum von 20 Zigaretten pro Tag).

Eine gute Behandlung eines Diabetes mellitus ist ebenso wichtig wie eine Gewichtsreduktion bei übergewichtigen Menschen. Übergewicht erhöht übrigens auch indirekt das kardiovaskuläre Risiko zusätzlich, indem es andere Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus und erhöhtes Cholesterin fördert.

Auch eine regelmässige sportliche Aktivität hilft, das individuelle kardiovaskuläre Risiko zu reduzieren. Menschen im erwerbsfähigen Alter und gesunden älteren Erwachsenen werden kumulativ 2½ Stunden Bewegung pro Woche in Form von Alltagsaktivitäten (beispielsweise Treppen steigen, Gartenarbeit) oder Sport mit mindestens mittlerem Intensitätslevel empfohlen. Eine mittlere Intensität bedeutet, zumindest leicht ausser Atem zu kommen. Eine regelmässige körperliche Aktivität wirkt zudem im Alter unfallpräventiv und unterstützt eine Gewichtsabnahme bei übergewichtigen Menschen.

Können Schlafmangel und übermässiger Stress tatsächlich das Risiko eines Herzinfarkts erhöhen?

Auch Stress oder Schlafmangel erhöhen das Herzinfarktrisiko. Ein dauerhaft erhöhtes Stresslevel erhöht den Blutdruck, lässt das Herz schneller schlagen, steigert die Ausschüttung von Stresshormonen und Insulin und schwächt das Immunsystem. Alle diese Faktoren sind schlecht für unser Herz. Zudem führt dauerhafter Stress dazu, dass sich Menschen ungesünder ernähren, sich weniger bewegen, mehr rauchen und Alkohol konsumieren sowie schlechter schlafen. Ein ungesunder Lebensstil ist insgesamt ein wichtiger Faktor eines erhöhten kardiovaskulären Risikos. Auch Lärm und Luftverschmutzung gelten als Faktoren, welche das Herzinfarkt-Risiko signifikant erhöhen: Lärm beispielsweise führt zu einer Störung der Innenschichtfunktion von Arterien («endotheliale Dysfunktion»), die als wichtige Ursache von kardiovaskulären Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall gilt. Luftverschmutzung, insbesondere ein Anstieg von Feinstaub und Stickoxiden, führt zu einem Anstieg der Entzündungswerte im Körper. Diese systemische Entzündung ist ebenfalls ein wichtiger Risikofaktor für verschiedene Erkrankungen, unter anderem auch für Herzkreislauf-Erkrankungen.

Portraitfoto von Dr. med. Simon Andreas Müggler

KD Dr. med. Simon Andreas Müggler

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