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Ratgeber

Panikattacken verstehen: Was sie auslösen und wie man ihnen begegnet

Dr. med. Ruedi Schweizer

Dr. med. Ruedi Schweizer

29. April 2024

lesezeit

7 min

Panikattacken sind wie plötzliche Stürme in der Seele – sie überfallen unerwartet, entfesseln eine Welle intensiver Angst und hinterlassen oft Verwirrung und Unsicherheit in ihrem Gefolge. Doch was genau versteht man unter einer Panikattacke, wie werden sie diagnostiziert und behandelt, und was können Betroffene tun, um damit umzugehen? Um tiefer in dieses Thema einzutauchen, haben wir uns mit Dr. med. Ruedi Schweizer, Ärztlicher Leiter unseres Zentrums für psychische Gesundheit, unterhalten.

Was genau ist eine Panikattacke und wie unterscheidet sie sich von anderen Angstzuständen wie Phobien usw.?

Eine Panikattacke ist eine plötzlich auftretende heftige Angstreaktion, die sich gelegentlich bis zur Todesangst entwickeln kann. Neben dem meistens auftretenden Angstgefühl gehören auch automatische und nicht willkürliche Gedanken dazu (zum Beispiel «Ich werde kollabieren!»). Praktisch immer treten auch körperliche Reaktionen auf. Das sind meist Zeichen des stressaktivierten vegetativen Nervensystems wie Herzrasen, heisser Kopf, Schwitzen, Zittern, Druck auf der Brust, Klossgefühl im Hals, hoher Blutdruck, Schwindel usw. Oft stehen diese körperlichen Symptome derart im Vordergrund, dass die Betroffenen unsere Notfallstation aufsuchen mit dem Gedanken, dass eine schwere körperliche Krankheit, zum Beispiel ein Herzinfarkt vorliegt. Es ist deshalb wichtig, dass die Ärztinnen und Ärzte auf der Notfallstation dieses Krankheitsbild kennen und wissen, dass es häufig vorkommt – viel häufiger als beispielsweise Herzinfarkte. Letztere sind aber viel gefährlicher, so dass selbstverständlich körperliche Ursachen ausgeschlossen werden sollten. 

Definitionsgemäss treten Panikattacken ohne Auslöser auf. Dies im Gegensatz zu den Phobien, also den gerichteten Ängsten, bei denen ein Auslöser bekannt ist. Ein einfaches Beispiel dafür ist die Spinnenphobie. Sowohl die Panikstörung als auch die Phobien zeichnen sich durch Vermeidungsverhalten aus, was das eigentliche Problem darstellt bei diesen Erkrankungen: Betroffene meiden dann Situationen, von denen sie denken, dass sie erneute Angstattacken provozieren. Dadurch werden die Panikattacken zwar tatsächlich seltener, aber die Personen werden im Alltag immer stärker eingeschränkt und vermeiden beispielsweise soziale Kontakte oder den öffentlichen Verkehr. Diese «Angst vor der Angst» (sogenannte Erwartungsangst) wird dann zum eigentlichen Problem der Erkrankung. Dies kann im Extremfall so weit gehen, dass Menschen die eigene Wohnung nicht mehr verlassen und völlig vereinsamen. 

Wie häufig sind Panikattacken, und wer ist am meisten gefährdet?

Panikattacken gehören zum «Repertoire» möglicher Reaktionsweisen des Menschen und sind Ausdruck eines grundsätzlich intakten, aber überreagierenden Stresssystems, dessen Funktionsweise sich evolutiv über Jahrmillionen entwickelt hat und somit ganz tief verwurzelt ist. Insofern sind einzelne Panikattacken bei jedem Menschen möglich und treten auch häufig auf. Statistisch erfasst werden sie nicht. Wir sprechen bei einzelnen Attacken auch nicht von einer psychischen Erkrankung oder Störung. 

Wenn hingegen die Panikattacken häufiger und anhaltend sind, oben erwähntes Vermeidungsverhalten auftritt und ein grosser Leidensdruck vorhanden ist, bezeichnet man dies als Panikstörung. Zusammen mit den Phobien und der generalisierten Angststörung gehört sie zur Gruppe der Angststörungen. Es handelt sich um die am häufigsten auftretende Krankheitsgruppe in der Psychiatrie. Circa 10 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen erfüllen irgendwann innerhalb eines Jahres die Kriterien irgendeiner Angststörung [1]. Das Gesundheitsobservatorium OBSAN beziffert die Häufigkeit der Panikstörung in der Schweiz auf 3,1 Prozent, wobei auch hier Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Es fielen dabei insbesondere hohe Werte bei jungen Frauen im Altern von 15 bis 24 Jahren auf (9,9 Prozent) [2]. 

Neben dem Geschlecht gibt es verschiedene andere statistischen Risikofaktoren, namentlich andere psychischen Krankheiten. So gehen Depressionen meist mit Angstsymptomen einher, oft auch in Form von Panikattacken. Diese verschwinden nach Abklingen der Depression in der Regel wieder. Auch anhaltender Stress kann sich in Form einer Panikstörung äussern. Zudem sind Persönlichkeiten mit grossem Bedürfnis nach Kontrolle und hohem Leistungsanspruch an sich selbst häufiger betroffen.  

Welche Behandlungsmöglichkeiten stehen Menschen mit Panikattacken zur Verfügung?

Die Behandlung einer isolierten Panikstörung ist die Domäne der Verhaltenstherapie, die auf einem lernpsychologischen Ansatz beruht: Betroffene sollen «lernen», dass Panikattacken zwar äusserst unangenehm, aber völlig ungefährlich sind und immer spontan wieder abklingen. Je häufiger erlebt wird, dass die Angst vorbei geht und nichts von dem passiert ist, was in der Attacke befürchtet wurde, desto eher zieht sich die Angst zurück und die Attacken werden seltener. Dies setzt aber voraus, dass die Panikattacken erlebt und gewissermassen durchgestanden werden. Sobald sie unterbrochen werden, zum Beispiel durch Ablenkung, Vermeidung oder die Einnahme einer Notfallmedikation wird dieser Lernprozess unterbrochen. Es versteht sich deshalb von selbst, dass diese Therapie eine gute Therapeut:innen-Patient:innen-Beziehung voraussetzt. 

Auch viele anderen Therapieansätze sind erfolgsversprechend. Neuere Methoden arbeiten beispielsweise mit akzeptanzbasierten Ansätzen, bei denen es um das möglichst wertfreie Annehmen der verschiedenen Gefühle, Gedanken und Körpersensationen während der Angst geht. Der Leidensdruck entsteht in diesem Verständnis vor allem durch die innere Bekämpfung der Angstsymptomatik (weil diese unangenehm ist) und nicht durch die Angst an sich. 

Medikamentös kann die Attacke mit Notfallmedikamenten unterbrochen werden. Neben dem oben genannten Nachteil des fehlenden Lerneffekts machen diese Tranquilizer jedoch oftmals abhängig. Gewisse Antidepressiva oder auch Lavendelölpräparate sind hingegen etablierte und gut wirksame Basismedikamente, um die Frequenz und Intensität der Attacken zu senken.  

Was können Menschen tun, um Panikattacken vorzubeugen oder damit umzugehen, wenn sie auftreten?

  • Portraitfoto von Dr. med. Ruedi Schweizer

    Dr. med. Ruedi Schweizer, Ärztlicher Leiter des Zentrums für psychische Gesundheit

    Das hängt vom Leidensdruck ab. Ich kenne viele Patientinnen und Patienten, die zwar dann und wann Panikattacken haben, damit aber gelernt haben zu leben. Bei leichteren Formen, vor allem bei ansonsten guter psychischer Gesundheit und vorhandenen...

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Oft sind Betroffene beispielsweise nur schon dadurch entlastet, wenn sie lesen, dass noch nie jemand an einer Panikattacke verstorben ist – weil ja in den Attacken dieser Gedanke tatsächlich oftmals auftritt und diesem auch Glauben geschenkt wird. Immer häufiger finden sich auch Online-Therapieangebote für Menschen, die sich selbst gut strukturieren können und die Disziplin haben, sich auf eine solche Therapieform einzulassen. Mobile Apps können dabei helfen, auch unterwegs – also da wo die Panikattacken oftmals auftreten – therapeutisch intervenieren zu können. Wenn der Leidensdruck grösser wird, lohnt sich der Aufbau einer guten therapeutischen Beziehung in einem üblichen Psychotherapiesetting. Ich rate generell dazu, sich frühzeitig Hilfe zu holen. Das grösste Problem in der Behandlung von Panikstörungen ist die Chronifizierung, die oftmals schon eingetreten ist, wenn die Betroffenen bei uns Fachärzt:innen und Fachpsycholog:innen eintreffen. Es ist viel einfacher, Panikattacken zu behandeln als das Vermeidungsverhalten, also die oben genannte «Angst vor der Angst». Unser Team des Zentrums für psychische Gesundheit ist für Sie da, wenn Sie uns brauchen.

Gemeinsam den Weg finden

Zentrum für psychische Gesundheit

Unser Zentrum für psychische Gesundheit ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Spital Zollikerberg und der Privatklinik Hohenegg. Unter einem Dach vereinen wir Psychotherapeut:innen sowie Psychiater:innen, die sich durch ausgewiesene Expertise auszeichnen. Gemeinsam mit Ihnen analysieren wir sorgfältig potenzielle Ursachen und schlagen geeignete Therapieoptionen vor.

Quellenangaben:
[1] Solis EC et al.: The 9-year clinical course of depressive and anxiety disorders: New NESDA findings. J Affect Disord. 2021;295:1
[2] Peter, C., Tuch, A. & Schuler, D. (2023). Psychische Gesundheit – Erhebung Herbst 2022. Wie geht es der Bevölkerung in der Schweiz? Sucht sie sich bei psychischen Problemen Hilfe? (Obsan Bericht 03/2023). Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.

Portraitfoto von Dr. med. Ruedi Schweizer

Dr. med. Ruedi Schweizer

Ärztlicher Leiter, Zentrum für psychische Gesundheit

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