Führung und Fachentwicklung in der Pflege: Urs Wildbolz über seinen Weg
Urs Wildbolz
16. Mai 2024
15 min
Seit fünf Jahren leitet Urs Wildbolz unsere Privatstation mit Schwerpunkt Akutgeriatrie. In seiner Funktion trägt er täglich mehrere Hüte, über die er im Interview spricht. Dabei erzählt er, was ihn antreibt, wer seine Mentorinnen waren und gewährt Einblicke in die Herausforderungen in der Pflege. Welchen Rat würde er jemandem geben, der am Anfang seiner Karriere steht? All das und mehr erfahren Sie hier.
Urs, du bist Leiter der Privatstation 2 mit Schwerpunkt Akutgeriatrie hier im Spital Zollikerberg. Welche Aufgaben fallen in deinen Zuständigkeitsbereich?
Ich verstehe mich als einen Generalisten. In meiner Rolle als direkter Vorgesetzter eines Pflegeteams übernehme ich die Personalverantwortung. Das heisst, ich kümmere mich um die Rekrutierung neuer Teammitglieder, plane ihre Einarbeitung und begleite sie langfristig, um sie zu befähigen und zu fördern. Zu meinen Aufgaben zählen auch klassische Elemente der Personalentwicklung wie die Durchführung von Jahresgesprächen. Zudem engagiere ich mich im Gesundheitsmanagement, besonders wenn es darum geht, Abwesenheiten zu managen und Mitarbeitende wieder in den Pflegeberuf zu integrieren.
Ein wesentlicher Teil meiner Tätigkeit ist auch das Tagesgeschäft, wobei ich insbesondere für einen reibungslosen Dienstbetrieb verantwortlich bin. Das beginnt bei der Ressourcenplanung, um sicherzustellen, dass wir unseren grundlegenden Auftrag – die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten – erfüllen können. Es ist mir ein grosses Anliegen, dass unsere Pflegenden sich vorrangig auf die Betreuung unserer Patientinnen und Patienten konzentrieren können.
Bildung spielt ebenfalls eine zentrale Rolle in meiner Funktion. Auch wenn ich nicht selbst als Berufsbildner agiere, arbeite ich eng mit unseren Berufsbildnerinnen zusammen. Dabei geht es vor allem darum, das Bildungskonzept der Klinik für Innere Medizin umzusetzen und die Berufsbildnerinnen zu führen. Auch im Bereich der Fachentwicklung bin ich involviert. Auf unserer Station arbeiten Fachexpertinnen für Pflege, die Konzepte und Standards entwickeln und implementieren – auch hier bringe ich mich ein.
Wir sind eine Privatstation, und es ist für mich essenziell, den Kontakt zu unseren Zusatzversicherten zu pflegen. Ich bemühe mich stets um einen offenen Dialog und bin präsent.
Die Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit ist mir ebenso wichtig. Ich stehe regelmässig im Austausch mit unserer leitenden Ärztin sowie den anderen Ärztinnen und Ärzten der Inneren Medizin.
Zudem wirke ich auch im Projekt «Visit» im Bereich der Personalführung mit, obwohl ich dort nicht als zentrale Figur auftrete, wie es auf unserer Privatstation der Fall ist.
Du arbeitest seit fünf Jahren hier bei uns. Was trägt besonders dazu bei, dass du dich an deinem Arbeitsort wohl fühlst?
Ich bin von einem sehr grossen Spital in ein Regionalspital gewechselt, und das Erste, was mich hier angesprochen hat, ist das duale Führungssystem: Hier ist die Klinikleitung immer eine Kombination aus Ärzteschaft und Pflege. Das war mir sehr wichtig, denn ich halte es für elementar, dass wir in die Prozesse eingebunden sind – eine Praxis, die ich in einem grossen, ausschliesslich von Ärztinnen und Ärzten geleiteten Spital so nicht vorgefunden habe. Aus diesem Grund habe ich mich bewusst für das Spital Zollikerberg entschieden.
Wir pflegen hier eine gute Betriebskultur; wir arbeiten auf Augenhöhe, man kennt einander, kann sich gut vernetzen und wird offen empfangen. Ein weiterer wichtiger Punkt für mich ist der Gestaltungsspielraum, den ich hier habe. In einem grossen Spital mit vielen Hierarchieebenen ist man als Stationsleiter vor allem ausführend tätig. Man hat nicht viel Spielraum, was ich mittlerweile nicht mehr so ansprechend fände. Zu Beginn kann das durchaus hilfreich sein, da es besonders für neue Führungskräfte als Orientierung dienen kann. Doch je mehr man sich in seiner Rolle zurechtfindet, desto mehr möchte man auch eigene Akzente setzen. Beide Schritte waren für mich wichtig. Vielleicht wäre ich ganz am Anfang ohne diese Leitplanken überfordert gewesen, aber in meiner jetzigen Phase schätze ich den Gestaltungsspielraum hier sehr.
Welche Erfahrungen oder Begegnungen haben deine berufliche Richtung beeinflusst und gibt es Personen, die deinen Karriereweg besonders geprägt haben?
Ja, das gab es bei mir definitiv: Als ich frisch diplomiert war, kam ich in ein Team, in dem wir eine Stationsleiterin hatten, die wirklich eine herausragende Persönlichkeit war. Sie war eine Österreicherin – immer charmant, eloquent und sehr humorvoll. Ihr war es immer wichtig, dass wir ein gutes Arbeitsklima hatten, und sie sagte oft: «Wir arbeiten viel, aber wir lachen auch viel.». Wir mussten wirklich viel arbeiten, denn die Patientinnen und Patienten hatten oft eine hohe Komplexität, aber sie hat mich total inspiriert und war in meinem ersten Berufsjahr extrem prägend. Ich bin nicht mal sicher, ob ich jemals so in einen Flow gekommen wäre, hätte ich sie nicht getroffen.
Später hatten wir dann eine Pflegedienstleiterin auf der Viszeralchirurgie, die mich wirklich gefördert und mich als Führungsperson mitgenommen hat. Das war am Anfang ein steiler Weg ohne Führungserfahrung. Es wurde viel von mir verlangt, und dann habe ich auch noch mehr von mir selbst verlangt. Aber sie hat mich wirklich begleitet, und ich habe extrem viel von ihr gelernt.
Rückblickend waren das sicher die prägendsten Persönlichkeiten, aber es gibt auch hier im Spital Zollikerberg mehrere Personen, die mich inspirieren. Doch ich denke, gerade am Anfang der Laufbahn sind solche Persönlichkeiten noch ein wenig einschneidender.
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Was treibt dich in deiner Arbeit an? Was sind deine Hauptmotivatoren?
Ich bin wahrscheinlich schon immer eher ein Macher-Typ gewesen, jemand, der gerne anpackt und keine Scheu hat, sich zu exponieren. Meine grösste Motivation sind definitiv meine Mitarbeitenden. Was ich besonders cool finde, ist zu sehen, wie sie sich entwickeln – und man entwickelt sich ganz automatisch mit ihnen. Über die Jahre sind wir gemeinsam besser geworden, sowohl in der Konfliktbewältigung als auch in unserer Performance.
Dann gibt es da noch die Arbeit im Spital mit den Patientinnen, Patienten und ihren Angehörigen, die ich nach wie vor extrem spannend finde. Früher hat mich die Spitzenmedizin, vor allem die Viszeralchirurgie, besonders fasziniert. Hier im Spital Zollikerberg habe ich mich für den Betrieb entschieden und bin mit der Akutgeriatrie in Berührung gekommen – und ich muss sagen, ich finde das extrem cool. Ich werde mit unglaublichen Geschichten konfrontiert und bin immer wieder überrascht, wie auch ältere, betagte Menschen es schaffen, autonom aus dem Spital zu gehen. Das ist wirklich eine erstaunliche Erkenntnis. Auch die Art und Weise, wie wir mit den Patientinnen und Patienten in der Akutgeriatrie umgehen, ist ganz anders.
Gab es je einen Moment, in dem du an deiner Karrierewahl gezweifelt hast – und wenn ja, wie bist du damit umgegangen?
Ich hatte solche Momente ganz klar in meinem Leben. Ursprünglich war ich nicht von Anfang an in der Pflege tätig, sondern habe zuerst eine Lehre als Zimmermann absolviert. Vier Jahre lang arbeitete ich in diesem Beruf, den ich wirklich gerne ausübte. In den Jahren zwischen 20 und 25 begann mich auch das Spitalwesen zu faszinieren. Während der Rekrutenschule hatte ich die Gelegenheit, ein Praktikum auf dem Notfall zu machen, und das hat mich extrem fasziniert. Damals entschied ich mich, mit der Ausbildung DN II (Diplomniveau Stufe 2) zu beginnen, auch wenn das bedeutete, dass ich etwas aufgeben musste.
Gerade zu Beginn meiner Ausbildung fühlte ich mich im ersten Praktikum noch nicht richtig am Platz; die Teamkonstellation passte auch nicht so gut. Aber ich wusste, dass ich jederzeit als Zimmermann zurückkehren konnte. Später dann, als ich während meiner Pflegeausbildung auf die bereits erwähnte Stationsleiterin traf, war für mich klar, dass ich in der Pflege bleiben würde.
Es braucht Durchhaltevermögen, denn wir sprechen hier von einer persönlichen Entwicklung, die oft auch in einer gewissen Überforderung stattfindet. Ohne diese Herausforderungen verändert man sich nicht. Irgendwann triffst du auf Menschen, die dich inspirieren, und dann bleibst du.
Welchen Rat würdest du jemandem geben, der jetzt am Anfang seiner beruflichen Laufbahn steht?
Einerseits würde ich raten, einen Betrieb, ein Team oder eine Station zu suchen, wo man wirklich den Eindruck hat, dass man gefördert wird – so wie man ist und wo man sich entwickeln kann. Das war für mich persönlich immer wichtiger als das Monetäre, und ich habe darauf auch immer ein grosses Augenmerk gelegt. Man muss seine Laufbahn kontinuierlich aufbauen: Es sollte eine Mischung sein aus an einem Arbeitsplatz bleiben, um sich dort zu entwickeln, und vielleicht auch parallel dazu eine Weiterbildung zu absolvieren. Dann aber auch den Mut haben, etwas Neues anzupacken. Für mich ist das Ganze jedenfalls ein Marathon und kein Sprint. Ich glaube, wir müssen ein wenig wegkommen von der Idee, dass wir eine steile Karriere machen und irgendwann auf einem Plateau ankommen. Ich denke eher, man muss schauen, dass man etwas findet, wo man mit Begeisterung dabei ist und sich entwickeln kann – dann kommt der Erfolg ganz von selbst. Sich zu sehr unter Druck zu setzen, ist meiner Meinung nach eher kontraproduktiv.
Oft hatte ich sogar das Gefühl, dass ich zufällig an diese Jobs geraten bin – was natürlich kein Zufall war. Als ich merkte, dass ich wieder etwas Neues brauche, kam auch wieder etwas Neues. Aber ich hatte nie einen übergreifenden Masterplan.
Wie definierst du Erfolg in deiner Rolle bzw. in deinem Berufsfeld, und fühlst du dich in diesem Aspekt erfüllt?
Ein besonderer Erfolg war für mich persönlich, wie wir unser Team in den letzten Jahren, besonders mit der Umstellung auf Akutgeriatrie, aufbauen konnten. Trotz einiger Wechsel konnten wir neue Leute für uns gewinnen. Die Bildung haben wir, zusammen mit den Bildungsverantwortlichen der Klinik für Innere Medizin, auf solide Beine gestellt. Das sind für mich echte Meilensteine.
Erfolg ist aber oft schwer zu messen und es gibt nur wenige Dinge, die ich allein mir zuschreiben kann. Meistens stossen wir etwas an oder begleiten Prozesse, aber letztendlich machen wir die Dinge immer im Team. Deshalb sehe ich es lieber so: Es macht mich glücklich, wenn etwas in unserem Umfeld erfolgreich umgesetzt wird. Zum Beispiel, wenn wir es schaffen, eine Kultur auf unserer Station zu etablieren, in der Lernende und Studierende gerne arbeiten. Oder wenn Patientinnen und Patienten bei ihrer Entlassung sagen, dass sie sich gut aufgehoben gefühlt haben. Auch ein Erfolg ist es, wenn wir Mitarbeitende nicht nur halten, sondern auch neu gewinnen können, und sie gerne länger bei uns bleiben. Oder wenn wir es schaffen, interdisziplinär etwas Neues aufzubauen.
Wie gelingt es dir, ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben zu schaffen? Hast du Tipps für eine gesunde Work-Life-Balance?
Gerade als Vorgesetzter ist es Teil des Jobs, dass man ab und zu Dinge mit nach Hause nimmt. Es ist immer eine Frage des Ausmasses – wie viel Raum man diesen Dingen im eigenen Leben gibt. Über den Tag sammeln sich viele Eindrücke, und oft fallen einem zu Hause am Abend noch Sachen ein. Hier ist es wichtig, in der eigenen Rollenentwicklung zu lernen, damit umzugehen.
Dann gibt es eben auch Lebensphasen, in denen man mehr gefordert ist als sonst. Diese Phasen muss man annehmen können. Als Führungskraft ist es besonders wichtig, das «Aushalten» zu lernen – Dinge auch mal ungelöst zu lassen: Vielleicht ist der Dienstplan noch nicht fertig, ein Ausfall noch nicht kompensiert oder für die nächsten zwei Monate noch nicht das nötige Personal rekrutiert. Und trotzdem darf man sich nicht verrückt machen lassen. Irgendwie ist es ja immer weitergegangen.
Eine entscheidende Rolle für meine Gesundheit spielt bei mir die Bewegung. Ich fahre sehr viel Velo, was für mich fast schon eine Art Psychotherapie ist (lacht). Beim Radfahren kann ich über viele Dinge nachdenken.
Ich habe auch zwei kleine Kinder. Einerseits fordern sie mich, aber gleichzeitig will ich präsent und im Moment sein, möchte ihren Bedürfnissen gerecht werden. Seit ich Kinder habe, hat sich vieles relativiert. Die Herausforderung, alles unter einen Hut zu bekommen – Familie, Beruf und die eigenen Bedürfnisse –, ist auch gewachsen und irgendwie muss man sich zurechtfinden. Auch das ist eine Entwicklung.
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