«Zuhören, wenn Stille spricht» – Klinische Seelsorge am Spital Zollikerberg
Pfrn. Sabine Schneider
25. September 2025
5 min
Klinische Seelsorge ist weit mehr als ein Gespräch: Sie bedeutet einfühlsame Begleitung in Zeiten von Krankheit, Krisen und existenziellen Herausforderungen. Im Interview berichtet Pfarrerin Sabine Schneider von ihren Erfahrungen als Spitalseelsorgerin – von stillen Momenten des Miteinanders, vom Umgang mit Ohnmacht und davon, wie oft schon kleine Gesten genügen, um Menschen in belastenden Situationen Halt und Orientierung zu schenken.
Was unterscheidet die klinische Seelsorge von anderen Formen der seelsorglichen Begleitung – gerade im Setting eines Akutspitals?
Ein Spitalaufenthalt ist wie ein Schnitt im Alltag – er unterbricht die gewohnte Routine. Plötzlich wird deutlich: «Mein Körper ist verletzlich.» – «Ich schaffe es nicht allein, ich brauche Hilfe.» Vielleicht taucht sogar die Frage auf: «Werde ich sterben?» Solche Gedanken geraten im Hamsterrad des Lebens schnell in den Hintergrund. Gespräche am Krankenbett – und allgemein im Spital – erlebe ich daher konzentrierter und stärker auf das Existentielle bezogen. Das schätze ich sehr. Die Seelsorge in einer Kirchgemeinde hat eine andere Bandbreite.
Wie begleiten Sie Patientinnen und Patienten in existenziellen Krisen, z. B. nach belastenden Diagnosen oder vor einem schweren Eingriff?
Meine Erfahrung ist, dass in solchen Momenten das Hören – Zuhören, Hinhören – das Allerwichtigste ist. Dadurch entsteht ein Raum, in dem all das Beängstigende, Schreckliche, die Angst und Befürchtungen, aber auch Schönes Platz haben. Fragen sind für mich dem Hören nachgeordnet, sie helfen zu präzisieren. Zusätzlich biete ich spirituelle Formen an, wie Gebet, Segen oder das Rezitieren eines Psalms. Das tue ich jedoch nur nach vorheriger Einwilligung.
Auch Angehörige stehen oft unter grossem Druck. Wie begegnen Sie Ihnen als Seelsorgerin – und was können Sie in solchen Situationen bewirken?
Die Not der Angehörigen ist tatsächlich oft sehr gross. Häufig haben sie nur wenige Möglichkeiten, über ihre Sorgen zu sprechen. Für sie gilt dasselbe wie für Patientinnen und Patienten zuhören und nachfragen. Zudem spreche ich mit ihnen über die Wahrnehmung ihrer eigenen Grenzen in der Unterstützung und weise auf mögliche Vernetzungsangebote hin.
Wie gehen Sie mit spirituellen Fragen, Zweifeln oder Hoffnungen um, wenn Menschen selbst keinen religiösen Bezug haben?
Alles, was Menschen bewegt – auch spirituelle Fragen, Hoffnungen und Zweifel – ist wichtig und ernst zu nehmen. Religion und Spiritualität sind sehr persönliche, oft intime Themen. Ich unterstütze, wo es gewünscht ist, und akzeptiere an jeder Stelle ein «Nein». Manchmal spreche ich von mir aus die Frage nach Glauben oder Religion an, wenn ich den Eindruck habe, dass es hilfreich sein könnte. Das ist immer ein offenes Angebot. Im Spital erlebe ich, dass sich sehr unterschiedliche Menschen mit Glauben oder Gemeinschaft auseinandersetzen – egal ob sie der Kirche angehören, ausgetreten oder einer anderen Religion verbunden sind.
Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Seelsorge und anderen Berufsgruppen wie Pflege, Ärztinnen und Ärzten oder Psychologie konkret aus?
Teilweise bin ich in institutionalisierte Austauschrunden eingebunden, vieles geschieht aber auch informell auf dem Flur oder im Stationszimmer. Ich schätze diese Begegnungen sehr. Wir sind viele, die für und mit den Patientinnen und Patienten arbeiten. Da ist es wichtig, voneinander zu wissen.
Gibt es typische Missverständnisse über Ihre Arbeit im Spital, die Sie immer wieder erleben – und wie begegnen Sie ihnen?
Wenn ich mich als Spitalseelsorgerin vorstelle, denken manche zunächst, ich wolle sie bekehren. Ich sage dann: «Ich bin hier, weil ich hören möchte, wie es Ihnen geht.» Viele legen diesen Gedanken daraufhin beiseite, andere bleiben dabei – und auch das respektiere ich.
In einem Umfeld, das stark von Zeitdruck und medizinischen Abläufen geprägt ist: Wie bewahren Sie den Raum für Präsenz, Stille und persönliche Begegnung?
Was mir Ruhe gibt, baue ich bewusst in meinen Alltag ein – das verändert sich im Laufe der Jahre. Heute ist es vor allem das Wasser, das mir guttut. Für mich ist es wie ein Geschenk Gottes, wenn ich schwimmen gehe. Auch die Mittagsmeditation am Dienstag im Spital gehört dazu. Vor einem Patient:innenzimmer halte ich zudem oft kurz inne, atme ruhig und sende ein stilles Gebet in den Himmel, bevor ich eintrete.